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Audio-Töne von Prof. Ulrich Hegerl (Vorsitzender Stiftung Deutsche Depressionshilfe/ Senckenberg-Professur an der Goethe-Universität Frankfurt/M.) mit Basisinformationen zur Erkrankung. 

Basisinformationen zur Erkrankung

Woran erkenne ich, ob ich eine Depression habe oder nur schlecht drauf bin?

"Menschen, die unter Depression gelitten haben, berichten oft, das fühlt sich ganz anders an als der Zustand, den Sie auch kennen, wenn sie gestresst waren, bei Misserfolg, Partnerschaftskonflikten oder Überforderungssituationen. Die Depression ist ein ganz anderer Zustand. Alles verdustert sich, man kann sich über nichts mehr freuen, man kann keine Gefühle mehr wahrnehmen, auch kein Trauergefühl. Man fühlt sich eher wie versteinert. Man ist nicht müde im Sinne von schläfrig, dass einem die Augen zufallen. Sondern im Gegenteil. Man hat Schwierigkeiten, einzuschlafen. Man fühlt sich eher permanent wie vor einer Prüfung. Hoffnungslosigkeit ist eingebaut. Die Menschen neigen zu Schuldgefühlen: Ich habe alles falsch gemacht oder Ich bin eine Belastung für andere. Solche Gedanken stellen sich dann mit der Depression mehr und mehr ein. Es ist ein Zustand mit sehr großem Leid."

Wann muss ich zum Arzt gehen? Wer ist überhaupt der richtige Arzt?

"Wenn man merkt, dass man sich völlig verändert, dass man keine Hoffnung mehr hat. Dass man das Gefühl hat, man steckt in einer Sackgasse und er Zustand ist unerträglich: Dann wird es wirklich höchste Zeit zum Arzt zu gehen, wie bei jeder schweren Erkrankung. Und Depression ist eine eigenständige, schwere Erkrankung. Man muss die Diagnose stellen lassen und eine konsequente Behandlung machen.

Da ist nicht der Heilpraktiker zuständig oder ein Psycho-Coach, sondern dafür sind die Fachleute zuständig. Und der Facharzt ist der Psychiater oder auch Nervenarzt. Und wir haben auch die psychologischen Psychotherapeuten als Anlaufstelle. Das sind nicht alle Psychologen, sondern Psychologen, die auch in der Psychiatrie gearbeitet haben müssen. Also die sich auch mit Erkrankungen auskennen und die Psychotherapie anbieten können. Und dann ist eine dritte Gruppe, an die man sich wenden kann, die Hausärzte. Die meisten Menschen, die ambulant behandelt werden, werden vom Hausarzt mit Antidepressiva behandelt und das sehr sehr oft mit großem Erfolg."

Was sind Ursachen der Depression?

"Ob jemand in eine Erkrankung rutscht oder nicht, dafür ist gar nicht so entscheidend, wie die äußeren Umstände sind. Entscheidend ist die Veranlagung. Wenn man das Pech hat so eine Veranlagung zu haben, die genetisch bedingt sein kann oder auch erworben sein kann durch Traumatisierungen und Missbrauchserfahrungen in der Kindheit, dann wird man immer wieder in diesen Zustand rutschen, wenn man denn nicht behandelt. Das betrifft dann oft auch Menschen, von denen man von außen sagt, "der hat doch gar keinen Grund depressiv zu sein".

Und wenn man die Veranlagung nicht hat, dann sieht man sehr oft, dass Menschen ganz große Bitternisse des Lebens überstehen, ohne deswegen in eine eigenständige Erkrankung Depression zu rutschen. Die äußeren Faktoren sind nicht ganz unwichtig. Sie können auch ein Trigger sein, dass man reinrutscht in eine Depression. Aber ihre Bedeutung wird in der Regel von Laien, aber auch von unerfahrenen Ärzten, eher überschätzt. "

Behandlung: Was hilft bei der Erkrankung?

"Die beiden wichtigsten Behandlungssäulen sind einmal Antidepressiva, die übrigens nicht süchtig machen, da gibt es keine Neigung zur Dosissteigerung und auch kein Drogen-Schwarzmarkt. Die zweite Säule ist die Psychotherapie. Hier muss man vor allem das Verfahren der kognitiven Verhaltenstherapie herausstreichen. Dafür liegen mit Abstand die besten Wirksamkeitsbelege vor.

Es gibt weitere Behandlungen der Depression, die Behandlung mit Lithium zum Beispiel. Es gibt auch Hirnstimulationsverfahren, die angeboten werden. Auch Sport kann unterstützend wirken. Schlafentzug ist ein Behandlungsverfahren, das unterstützend in Kliniken angeboten wird. Überraschenderweise ist es so, wenn die Menschen die zweite Nachthälfte in der Klinik wach bleiben, dass sich dann zu ihrer großen Überraschung eine vielleicht seit vielen Wochen bestehende Depression plötzlich bessert oder ganz abfällt – leider nur bis zum nächsten Schlaf. In der darauffolgenden Nacht, wenn Sie wieder Schlafen, kommt die Depression zurück. Die Menschen sehen dann, dass man allein mit diesem Manöver die Erkrankung durchbrechen kann und das vermittelt Hoffnung."

Wie kann ich selbst die Behandlung unterstützen?

"In einer Depression hat man immer den Eindruck, was ich gerade mache, ist falsch. Man hat das Gefühl bei der Pharmakotherapie, das kann doch nicht helfen, es ist doch nur mein eigenes Versagen. Bei der Psychotherapie hat man auch das Gefühl: bringt mir nichts, ich komme da nicht raus, ich bin selbst schuld. Da ist es wichtig, die Behandlung, die von den Ärzten oder den psychologischen Psychotherapeuten angeboten wird, dass man die konsequent ausprobiert. Da darf man sich nicht von der Erkrankung Depression in zu viel Zweifel stürzen lassen. Da muss man den Fachleuten ein Stück weit vertrauen."

Sind digitale Hilfen sinnvoll?

"Es gibt eine Reihe von psychotherapie-ähnlichen Programmen. Wir von der Stiftung Deutsche Depressionshilfe bieten das iFightDepression-Programm an, kostenfrei übrigens. Da werden so ähnliche Arbeitspakete wie bei der richtigen kognitiven Verhaltenstherapie dem Patienten so angeboten, dass er das zuhause durcharbeiten kann und etwas lernt über die Erkrankung und wie er besser mit ihr umgehen kann. Zum Beispiel die Tagesstrukturierung kann man mit diesem Programm sehr gut machen. Auch den Zusammenhang zwischen Schlaf und Stimmung kann man hier gut dokumentieren und andere Dinge mehr.

Diese Programme sind ähnlich antidepressiv-wirksam wie eine klassische face-to-face-Psychotherapie. Das haben Meta-Analysen gezeigt. Da gibt es erstaunlicherweise keine Unterschiede in der antidepressiven Wirksamkeit. Was aber nicht heißt, dass es genauso gut ist. Denn wenn man sich tatsächlich direkt gegenübersitzt, kann man als Arzt oder Psychotherapeut doch auch oft Dinge erkennen, die man verfehlen oder nicht erkennen würde, wenn das Meiste digital abgewickelt wird. Auch eine persönliche Bindung ist etwas, was sehr hilfreich und wichtig sein kann. Manche Menschen ziehen eine direkte zwischenmenschliche Therapie den digitalen Angeboten vor. Da hat jeder seine eigene Präferenz."

Sind Depression im Winter häufiger? Was kann man gegen eine Winterdepression tun?

"Die Depressionen sind das ganze Jahr über häufig und die meisten Depressionen im Winter sind keine Winterdpressionen. Das ist zwar in den Medien immer das große Thema, aber es ist nicht so, dass man in eine Depression verfällt, weil es draußen dunkel und düster ist. Depressionen sind ziemlich eigenständige Erkrankungen und das ganze Jahr über häufig. Die Winterdepression ist ein Sonderfall, der nicht so häufig ist, wie die typische Depression, meistens auch nicht so schwer, sodass man sie selten bei stationär behandelten Patienten findet.

Aber die Winterdepression kann auch mit Leidensdruck einhergehen, sie ist durch zwei Besonderheiten gekennzeichnet, außer dass sie nur in den Herbst- und Wintermonaten auftritt: Nämlich dass sie mit Schlafstörungen im Sinne von vermehrtem Schlafen einhergeht. Während die Leute bei der typischen Depression schlecht einschlafen und schlecht durchschlafen, also eher weniger schlafen. Und sie gehen eher mit Heißhunger und Gewichtszunahmen einher, während den Menschen bei der typischen Depression nichts schmeckt und sie häufig mehrere Kilogramm an Gewicht verlieren."

"Bei einer Winterdepression ist zu empfehlen, dass man bei Tageslicht rausgeht. Das Licht, dass man draußen erhält, ist in etwa so viel wie die Tageslichtlampen einem anbieten. Also ich würde nicht unbedingt empfehlen, dass man sich so eine Tageslichtlampe anschafft, wenn man unter einer Winterdepression leidet. Sondern, wenn man rausgeht, hat man auch noch frische Luft und Bewegung, sodass ich das sogar eher noch empfehlen würde. Aktiv bleiben, sich nicht zu viel ins Bett zurückziehen, soziale Kontakt pflegen, das sind meine Empfehlungen. Aber eine schwerere Winterdepression muss auch eventuell mit Antidepressiva behandelt werden."

Was kann ich als Angehöriger bei Depression tun? Wie kann ich helfen?

"Für Angehörige ist zunächst wichtig, sich gut zu informieren: Was ist eigentlich eine Depression? Damit man versteht, dass es nicht nur eine Reaktion auf schwierige Lebensumstände ist, sondern eine eigenständige Erkrankung, die jeden treffen kann – auch jemanden, dem es gut geht. Erst wenn Sie sich darüber informiert haben und erkennen, es ist eine Erkrankung, die mit gestörter Hirnfunktion einhergeht, dann werden Sie das veränderte Verhalten besser einordnen können. Sie werden das nicht missverstehen als ein sich-gehen-lassen, Lieblosigkeit oder Rücksichtslosigkeit und das besser einordnen können. Sie werden dann auch verstehen, dass Sie nicht schuld sind an der Erkrankung – selbst wenn es Konflikte gegeben hat und Streit, vielleicht auch bösen Streit. Das ist in der Regel nicht die Ursache der Depression. Man ist auch nicht verantwortlich für die Heilung. So wie man auch eine Diabetes mellitus nicht mit Liebe und Zuneigung heilen kann, wird man auch die Depression über diesen Weg nicht heilen können.

Da die Erkrankten oft Schwierigkeiten haben, sich Hilfe zu holen, weil sie erschöpft sind, weil sie hoffnungslos sind, weil sie sich selbst die Schuld geben, weil sie sich schämen, ist es oft wichtig, dass Angehörige das in die Hand nehmen. Sie können beim Arzt anrufen, einen Termin vereinbaren, die Diagnose stellen lassen, die Erkrankten in den Arm nehmen und hinbringen zum Arzt. Das ist etwas, was oft sehr, sehr wichtig war, damit die Menschen endlich in die konsequente Behandlung gekommen sind und ist natürlich ganz besonders, wenn eine Suizidgefährdung besteht. Wenn man den Eindruck hat, die Depression ist schwer und der betroffene Angehörige hat finstere Gedanken bis hin sich etwas anzutun, dann ist es höchste Zeit, dass man einen Termin vereinbart und den Erkrankten in den Arm nimmt und mit zum Arzt bringt."

Wie hängen Depression und Schlaf zusammen?

"Was ich vielen meiner Patienten empfehle, dass sie bei sich selbst genau den Zusammenhang zwischen Schlaf bzw. Bettzeit einerseits und der Stimmung bzw. dem Antrieb am darauffolgenden Tag andererseits ansehen. Das kann man machen, indem man eine Grafik anlegt. Unten trägt man die Tage eines Monats ab. Nach oben von 1 bis 10 trägt man mit kleinen Kreisen ein, wie die Stimmung ist, wobei 10 besonders gut und 0 besonders schlecht ist. Und man trägt mit kleinen Kreuzen ein, wieviel Stunden man im Bett gewesen ist. Dann kann man sehen, wenn man das gemacht hat über 1 bis 2 Monate, wie beides zusammenhängt. Bin ich, wenn ich früher ins Bett gehe und länger liegen bleibe tatsächlich am nächsten Tag frischer. Viele werden fest stellen, das Gegenteil ist der Fall. Wenn sie früher ins Bett gehen und länger liegen bleiben, fühlen sie sich noch erschöpfter und noch bedrückter. Dann kam man etwas gegensteuern und zum Beispiel schauen, dass man nicht länger als 8 oder 8,5 Stunden jeden Tag im Bett ist. Das sollte man dann anstreben.

Aber man muss immer wissen, bei der Depression ist es so, dass die Erkrankung oft so schwer ist, dass man das einfach nicht schafft. Dass man sich das vornimmt, aber es einen dann doch bleischwer ins Bett zieht und man nicht verhindern kann, dass man sich ins Bett zurückzieht. Das liegt an der Erkrankung Depression und das muss man sich nicht zum Vorwurf machen. Aber für die, die das schaffen bei leichteren Depressionen tatsächlich ihre Bettzeit zu regulieren, kann das bei einigen, vielleicht nicht bei allen, etwas sein, was ihnen hilft mit der Erkrankung Depression besser umzugehen."