In der Schwangerschaft und nach der Geburt
Depressionen treten über die gesamte Lebensspanne auf, auch in Lebensphasen, die wir mit Freude und Glück verbinden, wie die Zeit „der guten Hoffnung“ während der Schwangerschaft oder die nach der Geburt eines Kindes.
Viele Mütter erleben in den ersten Tagen nach der Entbindung eine kurze Phase, in der sie „leicht die Fassung verlieren“, stimmungslabil und ängstlich sind und grundlos weinen. Dieser sogenannte „Baby Blues“ klingt nach kurzer Zeit ohne Behandlung wieder ab. Wenn die depressiven Symptome allerdings über einen längeren Zeitraum anhalten, kann sich eine ernstzunehmende Erkrankung mit potenziell schwerwiegenden Folgen für Mutter wie Kind und oft auch die ganze Familie entwickeln: die Postpartale Depression.
Auch bereits während der Schwangerschaft zählen Depressionen zu den häufigsten psychischen Erkrankungen. Viele Frauen sind in dieser Zeit sehr ängstlich, machen sich große Sorgen über die Entwicklung des Kindes im Mutterbleib. Sie (ver-)zweifeln daran, ob sie die mit der Mutterschaft verbundenen Erwartungen und Anforderungen erfüllen können. Depressionen während der Schwangerschaft können sich direkt auf den Fötus auswirken und gehen mit erhöhtem Frühgeburtsrisiko und geringerem Geburtsgewicht einher.
Neben dem Leidensdruck und den Folgen der Erkrankung für die Mutter können Prä- und Postpartale Depressionen langfristig auch die Entwicklung kognitiver oder emotionaler Fähigkeiten des Kindes beeinträchtigen. Deswegen bedürfen Depressionen rund um die Geburt eines Kindes professioneller Behandlung. Depressionen sind auch in dieser Lebensphase gut behandelbar.
Inhaltsübersicht
Baby Blues
50–80 % aller Mütter zeigen im Laufe der ersten Woche nach der Entbindung Symptome des so genannten „Baby Blues“, einer kurz dauernden depressiven Verstimmung. Die Freude über das Kind wird dabei von Stimmungsschwankungen, Müdigkeit und Erschöpfung, Traurigkeit und häufigem Weinen sowie Schlaf- und Ruhelosigkeit begleitet. Bei den allermeisten Frauen entsteht dieses Stimmungstief zwischen dem 3. und 5. Tag nach der Geburt, dauert nur einige Stunden oder Tage an und klingt dann ohne Behandlung wieder ab.
Dauert die depressive Symptomatik deutlich länger an, kann eine ernsthafte Wochenbettdepression vorliegen, die Postpartale Depression.
Postpartale Depression
Im Unterschied zum Baby Blues ist eine Postpartale Depression eine schwerere, länger andauernde und behandlungsbedürftige depressive Erkrankung, die im ersten Jahr nach einer Entbindung auftritt.
Die Symptome unterscheiden sich nicht von depressiven Störungsbildern, die unabhängig von der Geburt eines Kindes auftreten, jedoch zeigen sich bei der Postpartalen Depression folgende Besonderheiten:
- ausgeprägte emotionale Labilität,
- Unfähigkeit, positive Gefühle für das eigene Kind zu entwickeln bis hin zur Gefühllosigkeit,
- übermäßige Angst und Sorge um das Wohlergehen des Kindes,
- ausgeprägte Gedanken und Zweifel an den eigenen Fähigkeiten als Mutter sowie Versagensängste: „ich bin eine schlechte Mutter“, „ich kann mein Kind nicht versorgen“,
- Zwangsgedanken (z.B. das Kind zu schädigen),
- Stillprobleme.
Häufigkeit und Ursachen
10–15 % der Frauen entwickeln nach einer Geburt eine Postpartale Depression. Ein erhöhtes Erkrankungsrisiko haben Frauen, die bereits zu verschiedenen Zeiten ihres Lebens unter depressiven Verstimmungen gelitten haben und Frauen, die in der ersten Woche nach der Geburt eine starke depressive Symptomatik zeigen.
Bei der Entstehung einer Postpartalen Depression wirken – wie bei depressiven Erkrankungen generell – mehrere Faktoren zusammen:
- Körperliche Ursachen können beispielsweise Schwangerschaftskomplikationen und biochemische Veränderungen sein.
- Psychische Faktoren können u.a. ein traumatisches Geburtserlebnis, starke Veränderungen des eigenen Lebensrhythmus und der eigenen Identität sein, ebenso auch die Veränderung des Selbst- und Körperbildes.
- Soziale Faktoren umfassen beispielsweise die Neufindung der Rolle als Mutter oder eine (veränderte) Beziehung zum Partner und zu Angehörigen. Insbesondere stellen mangelnde soziale Unterstützung und eine instabile, unbefriedigende oder fehlende Partnerschaft Risikofaktoren dar.
- Gesellschaftliche Faktoren sind z.B. ein verklärtes Mutter-Image (stets liebevolle Mutter) und die Ausklammerung der Schattenseiten der Mutterrolle in der Öffentlichkeit.
Abzugrenzen ist die Postpartale Depression von der selten auftretenden Postpartalen Psychose, an der etwa 1 bis 2 von 1.000 Frauen nach der Geburt ihres Kindes erkranken.
Eine Postpartale Psychose tritt meist in den ersten 4 Wochen nach der Geburt auf. Die betroffenen Mütter leiden unter quälenden Wahnvorstellungen und Sinnestäuschungen (Halluzinationen) und sind in ihrem alltäglichen Funktionieren stark eingeschränkt. Aufgrund der unmittelbaren Gefahr für die Betroffene und für das Kind ist schnelle professionelle Hilfe – i.d.R eine stationäre Behandlung – besonders wichtig.
Behandlung
Die Behandlung depressiver Störungen nach einer Entbindung ist abhängig von Ausprägung und Schweregrad:
Beim Baby Blues genügt die Information von Müttern und Angehörigen über Symptome, Häufigkeit und Ursachen und der Hinweis, dass Betroffene der Unterstützung durch Angehörige bedürfen, die Verstimmung aber in der Regel ohne professionelle Therapie vorübergeht.
Postpartale Depressionen können hingegen unbehandelt schwere Langzeitfolgen sowohl für die Mutter als auch für das Kind und die ganze Familie haben. Sofortige professionelle Hilfe ist daher notwendig. Die Postpartale Depression ist gut behandelbar: In Abhängigkeit von der Symptomatik bietet sich eine kombinierte psychotherapeutische und medikamentöse Behandlung an.
- Die medikamentöse Behandlung führt am schnellsten zu einer Besserung der Beschwerden. Sie hilft, die Energie für die Bewältigung des Alltags wieder zu finden. Gemeinsam mit dem behandelnden Arzt werden mögliche Medikamente und eventuelle Nebenwirkungen für Mutter und Kind besprochen. Stillen ist dabei mit einer medikamentösen Behandlung vereinbar.
- Ziel psychotherapeutischer Maßnahmen ist die Bewältigung der Krankheitssymptome durch Aufklärung über die Erkrankung, die Einstellung auf die neue Situation und die Etablierung einer guten Mutter-Kind-Beziehung. Dabei ist der Einbezug des Partners und weiterer Angehöriger wichtig, um mögliche familiäre und partnerschaftliche Konflikte zu bearbeiten und Chancen der Entlastung zu besprechen. Am häufigsten kommen die Kognitive Verhaltenstherapie sowie die Interpersonelle Psychotherapie zum Einsatz.
- In manchen Fällen ist es hilfreich, eine Hebamme, Gemeindepflegerin, Sozialarbeiterin oder verschiedene andere Betreuungsdienste (z.B. Haushaltshilfe, Kinderbetreuung über die Krankenkasse) einzubeziehen.
- In Mütter- und Selbsthilfegruppen können Bewältigungsstrategien für Stressoren und Konflikte besprochen und geübt werden. Zudem werden Informationen zu Entwicklungsschritten des Kindes vermittelt, was der Mutter Sicherheit gibt. Vorteil gruppentherapeutischer Interventionen ist der Anstoß zum Aufbau sozialer Kontakte.
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In einigen Fällen (z.B. bei schwerer Depression oder Postpartaler Psychose) ist zum Wohl von Mutter wie Kind ein (gemeinsamer) Klinikaufenthalt notwendig. An einigen psychiatrischen Krankenhäusern gibt es spezielle Mutter-Kind-Abteilungen, in denen das Kind zusammen mit der Mutter aufgenommen werden kann. Informationen dazu bieten der Schatten und Licht e.V. und die Marcé Gesellschaft.
- Neben der Behandlung der Postpartalen Depression wird auch zunehmend die Mutter-Kind-Beziehung in die Behandlung einbezogen mit dem Ziel, die Mutter-Kind-Interaktion zu verbessern und das Selbstvertrauen der Mütter zu stärken sowie möglichen Entwicklungsbeeinträchtigungen des Säuglings vorzubeugen.
Aufklärung
Obwohl die Postpartale Depression gut behandelbar ist, suchen viele betroffene Frauen keine Hilfe. Hier besteht die Gefahr, dass Mütter und Angehörige insbesondere die körperlichen Symptome der Postpartalen Depression (Kopfschmerzen, Schwindel, Herzbeschwerden, Appetitlosigkeit, Schlafstörungen, vermindertes sexuelles Interesse) als normale Erschöpfungsreaktion auf die Geburt und Pflege des Kindes wahrnehmen und nicht als behandlungsbedürftig ansehen. Einige Symptome (insbesondere sich aufdrängende Gedanken, das Gefühl, als Mutter zu versagen und die empfundene Gefühllosigkeit gegenüber dem Kind) führen zu Scham und Schuldgefühlen bei der Mutter. Die betroffene Frau hat Angst „selbst schuld“ und eine „schlechte Mutter“ zu sein und traut sich nicht, mit jemandem darüber zu sprechen. In beiden Fällen suchen die Betroffenen keine Hilfe, die Depression bleibt unerkannt und unbehandelt, so dass sich die Krankheitsphase verlängert.
Notwendig ist eine Aufklärung über die Erkrankung, auch zur Entlastung von Schuldgefühlen. Es ist von größter Bedeutung für den Verlauf der Krankheit, dass sowohl die Mutter als auch ihre Familie verstehen, dass es sich hier um eine behandelbare Erkrankung handelt.
Die Wochenbettdepression ist kein persönliches Versagen und kein Zeichen dafür, dass eine Frau eine schlechte Mutter ist oder ihr Kind nicht genügend liebt. Es ist eine Krankheit, die behandelt werden kann. Im Interesse der Mutter und des Kindes sollte unbedingt professionelle Hilfe in Anspruch genommen werden.
Flyer des Nürnberger Bündnisses gegen Depression |
Flyer des Leipziger Bündnisses gegen Depression |
Umfangreiche Broschüre mit freundlicher Genehmigung des Schatten und Licht e.V. |
Links und Literatur
Schatten & Licht e.V.
Auf der Homepage des Vereins finden Sie Kontaktlisten, Informationen zur Selbsthilfe, Listen von Fachleuten zum Thema, einen Fragebogen zur Selbsteinschätzung und Fachliteratur.
Marcé Gesellschaft
Die Marcé Gesellschaft bietet eine Adressliste von Aufnahmestellen bei postpartalen psychischen Erkrankungen, Literaturtipps und weitere Links.
Mutter-Kind-Behandlung.de
Hier finden Sie Informationen zu Postpartalen Erkrankungen und deren Behandlungsmöglichkeiten für Mütter und Väter.
Embryotox
Die Informationsseite der Charité – Universitätsklinikum Berlin bietet Ärztinnen und Ärzten sowie im Gesundheitswesen Engagierten unabhängige Informationen zur Verträglichkeit der wichtigsten Medikamente und zur Behandlung häufig vorkommender Krankheiten bei Müttern und werdenden Müttern in Schwangerschaft und Stillzeit.
Wochenbettdepression-Hotline
Das Universitätsklinikum der Johann-Wolfgang-Goethe Universität Frankfurt bietet für Mütter und Väter, die nach der Geburt ihres Kindes Symptome wie Niedergeschlagenheit, innere Leere, Schuldgefühle oder zwiespältige Gefühle gegenüber dem Kind verspüren eine Hotline zur Unterstützung an.
Informationen und Hilfe bekommen Sie außerdem von:
- Niedergelassenen Ärzten/innen
- Niedergelassenen Psychotherapeuten/innen
- Hebammen
- Beratungsstellen
- Ambulanten Krisendiensten
Quellen
Riecher-Rössler, A. (1997). Psychische Störungen und Erkrankungen nach der Entbindung. Fortschritte der Neurologie-Psychiatrie, 65 (3), 97–107.
O'hara, M. W., & Swain, A. M. (1996). Rates and risk of postpartum depression—a meta-analysis. International Review of Psychiatry, 8 (1), 37–54.
Boyce, P. M. (2003). Risk factors for postnatal depression: a review and risk factors in Australian populations. Archives of women's mental health, 6 Suppl 2, 43-50.
Sonnenmoser, M. (2007). Postportale Depression: Vom Tief nach der Geburt. Deutscher Ärzte Verlag. Verfügbar unter: http://www.aerzteblatt.de/archiv/54466 [10.10.2016]